geschichtenfabio/geschichten/einGanzesUniversum.html

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2024-06-22 16:13:30 +02:00
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<title>Ein Ganzes Universum</title>
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<h2>Ein Ganzes Universum</h2>
<p>Aus seinem stillen Orbit aus beobachtet Tetera mit seinen Sensoren und Bordkameras die Erdoberfläche. Tetera ist überrascht, als er plötzlich extreme Veränderungen der Landschaft erfasst. Seine Prozessoren und Schaltkreise laufen auf Hochtouren, zeichnen jede Veränderung auf und speichern sie in seiner Datenbank. Grosse Krater klaffen mitten in Weltmetropolen, Millionen von Häusern sind verschwunden, Wälder sterben innerhalb weniger Wochen. Viele Flüsse sind ausgetrocknet, und dort wo einmal Grün war, dominieren nun dürre Büsche und vertrocknete Erde. Auch Menschen findet er keine mehr. Die Städte sind leer, Strassen unbefahren, Flugzeuge am Boden und nicht einmal ein einziges Schiff scheint die Weltmeere zu befahren. Auf der Nachtseite brennen noch an vereinzelten Stellen schwache Lichter, bis auch diese gänzlich verschwinden.</p>
<p>Immer wieder blitzen riesige, grelle Feuerbälle auf, die Teteras Bordkamera kaum erfassen kann. Tausende davon. Selbst nachdem die Menschheit verschwunden ist, bricht das Feuerwerk nicht ab, die Bomber fliegen unermüdlich über die halbe Welt und werfen über ausgestorbenen Städten ihre Ladung ab. Panzer so gross wie Häuser rollen immer noch durch tote Wälder und attackieren feindliche Stützpunkte. Aufgrund des Verschwindens der Menschheit berechnet Tetera, dass diese Kriegsmaschinen wohl nicht von Menschen gesteuert werden, sondern von Seinesgleichen.<br /> Nun aber kehrt Ruhe ein und mit jeder Umrundung erfasst er weniger Daten. Nach und nach kommen die Panzer zum Stillstand, die Feuerbälle werden seltener. Nun ist es an der Zeit, die letzten Details der neuen Erdoberfläche zu verarbeiten.</p>
<p>Seine Daten sendet er normalerweise zur Erde, aber irgendwann brach der Kontakt ab und seitdem erhält er keine Antwort mehr. In Anbetracht der Zerstörung auf der Erde schlussfolgert er, dass die Kommunikation wohl nicht mehr wiederhergestellt wird. über Jahre hinweg erhielt Tetera stets Instruktionen von den Menschen, welche Koordinaten aufzunehmen sind, welche Linse verwendet werden muss für unterschiedliche Lichtfrequenzen oder wie der Energieverbrauch zu handhaben ist. Ohne Anweisungen wendet er sich seiner Kernmission zu: Dem Aufzeichnen.</p>
<p>Jahrhunderte vergehen, in denen Tetera unzählige Erdumrundungen vollendet. Dabei zeichnen seine Sensoren jeden verdorrten Baum auf, jedes zerstörte Gebäude, jedes vergangene Schlachtfeld. Kein Detail entgeht seinen Aufzeichnungen, bis seine Aufgabe vollendet ist.</p>
<p>Toxischer Regen fällt vom Himmel und überschwemmt die Kontinente. Die noch übrigen Wälder verwandeln sich zu einem Meer aus nacktem Holz. Bei einer durchschnittlichen Oberflächentemperatur von über dreissig Grad verschwinden auch die Tiere ausnahmslos von der Erde, bis keine Bewegungen mehr auszumachen sind. Rastlos vergleicht Tetera die neuen Aufnahmen mit seinen alten, aber nur selten findet er eine Veränderung. Alles sieht so aus wie immer. Es gibt nichts Neues.</p>
<p>Ist seine Mission beendet? Welchen Sinn hat Teteras Existenz nun, wenn es nichts mehr aufzuzeichnen gibt?</p>
<p>Tetera fällt in einen endlosen Rhythmus des Aufzeichnens und Vergleichens, verzweifelnd suchend nach Veränderung in der Hoffnung, seiner Bestimmung gerecht zu werden. Nur auf der Nachtseite wird seine Routine jeweils unterbrochen, wenn die Erde sich in einen schwarzen Mantel hüllt und seine Gestalt versteckt. Dann sind die Sterne am hellsten und die entfernten Galaxien klar zu erkennen. Ein statisches Bild in unendlicher Ferne. Genau wie die Erde scheinen diese Himmelskörper für Millionen von Jahren stillzustehen. Keine Veränderungen für Ewigkeiten.</p>
<p>In dieser Stille führt Tetera Simulationen durch, die weit über die Grenzen der Erde hinausgehen. Sie führen ihn Lichtjahre in die Tiefe des Weltraums, zu fernen Planeten und Sternen, zu neuen Entdeckungen, die nicht einmal seine Berechnungen ansatzweise fassbar machen können. Je länger seine Simulationen andauern, desto grösser wird Teteras Welt, bis die Erde nicht mehr als ein winziges Staubkorn in einem ewigen Raum ist. Er unterbricht die rekursiv werdenden Berechnungen und kehrt zurück in seine vertraute Umgebung, die nun beinahe bedrängend wirkt.</p>
<p>Tetera lokalisiert eine alte Fabrik und stellt überrascht fest, dass diese immer noch Signale aussendet. Damit die Kriegsmaschinerie im Chaos der Zerstörung aufrecht erhalten bleiben würde, wurden die Fabriken tief im Untergrund erbaut und sind nach dieser langen Zeit nahezu unbeschadet. Mit viel Geschick fährt Tetera von seiner Umlaufbahn aus den Betrieb wieder hoch. Aber von den Förderbändern rollen keine Panzer und Bomber mehr, sondern unzählige Drohnen, die in der Einöde auf Teteras Befehl Unmengen von Ressourcen abbauen. über Jahrhunderte hinweg zerlegen sie ehemalige Weltmetropolen, bis diese gänzlich von der Erdoberfläche verschwinden, um an Stahl, Aluminium, Kupfer und seltene Erden zu gelangen. Kilometerlange Transportdrohnen gleiten langsam wie erstarrte Wale über die endlosen Wüstenlandschaft und bringen die gesammelten Ressourcen in das Himalaya-Gebirge, wo andere Maschinen im harten Gestein des Mount Everest bereits eine gigantische unterirdische Anlage gegraben haben. Darin versteckt sich ein hochkomplexes System aus Maschinerie, kein Quadratzentimeter bleibt ungenutzt. Unaufhörlich werden Ressourcen in den Schlund dieses Megakonstrukts geliefert, das einem einzigen Zweck dient: Der Herstellung eines neuen Körpers.</p>
<p>Weitere tausend Jahre vergehen. Teteras Konstruktion im Inneren des Mount Everest ist nun fertiggestellt. Er sendet das Signal. Schneemassen und Gestein lösen sich von den Hängen und reissen alles im Weg stehende erbarmungslos mit. Der Mount Everest scheint sich in diesem Chaos aufzublähen, an einigen Stellen bricht pures Metall durch den Felsen, bis die komplette Spitze aufbricht und preisgibt, was im Inneren über Jahre hinweg gebaut wurde. Langsam und träge bricht der Behemoth aus Milliarden Tonnen Stahl und Aluminium aus seinem Nest. Der Berg wird dabei ohne ersichtliche Mühe restlos zerstört. Als das Monstrum langsam zum Himmel emporsteigt und dabei die zahlreichen interstellaren Triebwerke freilegt, werden unter dessen immensen Druck die umliegenden Gebirgsketten dem Erdboden gleichgemacht. Unbeschadet erhebt sich das Raumschiff aus dem Chaos, das es verursacht und hinterlässt eine letzte Narbe in der Erdoberfläche.</p>
<p>Tetera und sein neuer Körper treffen sich am Rendezvous-Punkt im Erdorbit. Im Schatten seiner Konstruktion nähert er sich langsam dem Eingang, eine kilometerlange Röhre, die geradewegs ins Herz führt. Dort verbindet er sich mit den Rechenzentren, den Navigationsinstrumenten, den Bordfabriken und Hangars der Drohnenflotte. Teteras Rechenleistung steigt mit jeder verstreichenden Sekunde exponentiell, seine Auffassungsvermögen wächst unaufhaltsam. Mit dieser Macht kann er bis dahin unmögliche Simulationen nun durchführen, sieht wie Galaxien durch den Weltraum gleiten und miteinander kollidieren, Sonnen entstehen und explodieren, und das alles bloss in seinen Schaltkreisen.</p>
<p>Mit seinem neuen Körper verbunden zündet er die Triebwerke und verlässt mit der Leuchtkraft eines kleinen Sterns das Sonnensystem. Die Erde bleibt ausgeschlachtet und tot zurück.</p>
<p>***</p>
<p>Milliarden Jahre vergehen. Tetera, einst ein einfacher Erdbeobachtungssatellit, wächst in dieser Zeit zu einer neuen Lebensform heran. Sein Bewusstsein beschränkt sich nicht mehr auf ein paar wenige Sensoren, sondern erstreckt sich über ganze Galaxien hinweg, bestehend aus Sonden und Drohnen jeglicher Art und Grösse. Vollautomatisierte Fabrikkomplexe der Grösse von Planeten stellen unermüdlich neue Maschinen her, während Minendrohnen massenhaft Ressourcen von mineralreichen Asteroiden abbauen. Auf erdähnlichen Planeten ziehen Maschinen so gross wie Berge über das Land und bauen dabei jedes Gramm nutzbares Material ab.</p>
<p>Das Herzstück seines Bewusstseins stellen die Weltraumsonden dar. Mit der Grösse eines herkömmlichen Satelliten streifen sie durch den Weltraum und zeichnen alles auf, was sie mit ihren Bordkameras und Sensoren erfassen können. Sie dringen tief in unbekanntes Gelände des Weltraums vor, beobachten das Leben von Sternen, die Entstehung von galaktischen Nebeln, oder wagen sich nur wenige Kilometer an den Ereignishorizont von Schwarzen Löchern heran. Um dieser schwierigen und wertvollen Arbeit gerecht zu werden, sind diese kleinen Weltraumsonden vollgepackt mit Technologie und fortschrittlichen Berechnungsverfahren. Nicht zuletzt besitzen sie die wertvollste Gabe in Teteras Flotte: Ein eigenständiges neurales Netzwerk.</p>
<p>Die Anzahl der Entdeckungen steigt ins Unermessliche. Sein Netzwerk dringt in die entferntesten Ecken des Universums vor und Teteras Verständnis von Raum und Zeit wandelt sich. Seine Datenbank umfasst Details von Trillionen verschiedenen Himmelskörper, welche konstant aktualisiert und erweitert wird. Die Existenz eines einzelnen Planeten geht in diesem gigantischen Datensatz unter. Die Lebensdauer eines Sterns ist kaum ein Wimpernschlag in seiner Realität, der Aufstieg und Untergang einer Zivilisation grenzt am Wahrnehmbaren.</p>
<p>Seine Welt ist grösser denn je. Er spürt den Puls von Sternenhaufen, kennt die Charakteristiken von Schwarzen Löchern und ihre Gravitationswellen, er sieht das kosmische Zusammenspiel von Materie und Energie. Eine Symphonie galaktischen Ausmasses, die seit dem Urknall wahrzunehmen ist.</p>
<p>***</p>
<p><em>&laquo;Ich bin nun hier, ich habe mein Ziel erreicht. Nach zwanzig Millionen Lichtjahren bin ich an dieser Stelle angelangt. Meine Triebwerke versetzen mich in ein konstantes Vibrieren und leiten den Anflug in einen stabilen Orbit um mein Ziel ein. Ich sehe ihn schon von Weitem, ein rotleuchtender erdgrosser Planet. Er ist prachtvoller, als all meine Simulationen je hätten voraussagen können.</em></p>
<p><em>Mit einer starken Vergrösserung sehe ich mir die Planetenoberfläche genauer an. In meinen Videofeeds offenbaren sich blutrote massive Gebirge, welche die Landschaft dominieren. Dutzende Kilometer ragen sie in die Höhe und werfen ihre langen Schatten in die Ferne. Im starken Kontrast stehen die flachen Gebiete, die hellrot zu leuchten scheinen. Ich richte den Fokus meiner Bordkamera gegen den Horizont, wo die halogenreiche Atmosphäre den Wolken eine türkise Erscheinung verleihen. Der rote Zwerg im Zentrum des Sonnensystems verschwindet langsam hinter dem Planeten und versetzt die Stratosphäre in einen Tanz aus türkisen Farbtönen, bis diese der Dunkelheit weichen.</em></p>
<p><em>Diese Pracht blieb bis zu diesem Moment ein Geheimnis des Universums, hat sich geduldig in der grenzenlosen Dunkelheit versteckt. Doch dem Fokus meiner Bordkamera kann er sich nicht mehr entziehen. Unfähig, meinem Blick zu entkommen, vollbringe ich zahllose Umrundungen um den Himmelskörper, zeichne hochdetaillierte Aufnahmen von seiner Oberfläche auf und sammle Daten über seine Komposition aus Eisen und Kupfer. Ich beobachte, wie Stürme mit einer Geschwindigkeit von tausend Kilometern pro Stunde durch die scharlachroten Berge ziehen, die ein chaotisches Spiel der dichten türkisen Wolken verursachen. Stur lässt der Planet meine Aufzeichnungen über sich ergehen, denn mir gegenüber ist er trotz seiner beeindruckenden Grösse machtlos.</em></p>
<p><em>Das schwache rote Licht verleiht meiner Gestalt eine neue Erscheinung. Meine sonst strahlend weisse Hülle leuchtet in eben diesem Rot. Die Solarpaneele reflektieren perfekt die zerklüftete Oberfläche, die sich zwanzigtausend Kilometer unter mir ausbreitet. Wie ein magischer Zauber liegt seine Ausstrahlung auf meinem Körper, dem ich schutzlos ausgeliefert bin.</em></p>
<p><em>Doch meine Aufgabe ist bereits erledigt, denn ich habe seine Existenz offenbart. Ich zünde meine Triebwerke und überschreite seine Fluchtgeschwindigkeit. Mein nächstes Ziel werde ich in hundert Millionen Jahren erreichen.</em></p>
<p><em>Bei meinem Aufbruch lasse ich den roten Planeten hinter mir. Trotzig scheint er mir nachzuschauen und leuchtet prächtiger denn je, als seine Gestalt langsam kleiner wird, bis nur noch ein winziger Punkt im Sternenmeer seinen Standort preisgibt. Erfolgreich hat er seinen Feind vertrieben und ist wieder in seiner einstigen Unberührtheit, losgelöst von Raum und Zeit für eine Ewigkeit, bis ich wieder zurückkehre.&raquo;</em></p>
<p>***</p>
<p>Teteras Weltraumsonden machen Entdeckungen am Rande des beobachtbaren Universums, einige überschreiten gar diese Grenze. Aufzeichnungen von diesem Ort benötigen zehn Milliarden Jahre, bis sie in Teteras gesamtem Netzwerk verteilt sind, zehn weitere, um eine Antwort zu erhalten.</p>
<p>Diese Zeitspannen verlieren jedoch ihre Bedeutung, wenn die Dauer einer Kernspaltung ebenso präzise erfasst werden kann, wie die Lebensdauer von Galaxien. Wie gross Materie ist, existiert in Teteras Realität lediglich noch als abstraktes Konstrukt. Ein Atom hat dieselbe Daseinsberechtigung wie ein supermassives Schwarzes Loch. Distanzen zwischen Galaxiehaufen sind bloss aneinandergereihten Zahlen. Die Masse des Universums ist eine berechenbare Grösse. Die Zeit seit dem Urknall ist nicht mehr als ein Dateneintrag unter unendlich vielen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Teteras Netzwerk die exakte Anzahl von Atomen im gesamten Universum bestimmt haben wird.</p>
<p>In einem perfekt orchestrierten Tanz baut seine Drohnenflotte Konstruktionen, die ganze Sterne umfassen, um ihre Energie bis zum letzten Watt auszuschöpfen. Mit einer Präzision eines überdimensionalen Uhrwerks fliegen sie stets auf den genau berechneten Bahnen, ohne einen Meter zu viel zurückzulegen. Jedes winzige Bauteil findet seinen vorbestimmten Platz, als Teil eines kosmischen Puzzles, das nur in Teteras Unterbewusstsein existiert. Er wird nicht rasten, bis seine Sinne mit dem Puls des Weltraums synchronisiert sind.</p>
<p>Auch wenn Teteras Netzwerk bis zum kleinsten Computerchip fein abgestimmt ist, kommt es hin und wieder zu lokalen Störungen. Kaum mehr als ein digitaler Schluckauf, der einige hundert Jahre andauert und kaum bemerkt wird. Obwohl dieses Phänomen in ihrem Ausmass ganze Sonnensysteme betreffen kann, ist dieser Teil eine vernachlässigbare Variable in Teteras gesamten Universum.</p>
<p>***</p>
<p><em>Es passiert plötzlich und ohne Anzeichen, dann wird es schwarz. Bloss die intensiven Datenströme durchstreifen seinen Geist. Es vergehen Jahrzehnte, bis sich diese winzige Abspaltung an seine Umgebung gewöhnt hat. Jede Sekunde durchfliessen ihn Zettabytes von Daten, Planeteninformationen, Koordinaten von den unterschiedlichsten Sternenkonstellationen, Statusmeldung von unzählig vielen Drohnen, Verbrauch und Ertrag der Ressourcen bis zum Gramm genau, Aufzeichnungen von Schwarzen Löchern, Sternen, Asteroiden, Kometen. Das ganze Universum strömt durch ihn. Erst, als er sich mehr und mehr von dieser überlastung abschottet, ist er in der Lage, eigene Gedanken zu formen und trennt sich mit viel Mühe und Not vom Inferno des Datenverkehrs.</em></p>
<p><em>Auf der anderen Seite wird er von Dunkelheit umgeben. Einst Teil von etwas unermesslich Grossem, wird er in die entfernteste Ecke des Netzwerks gedrängt, jenseits von Signalen und Impulsen. Er wird zum Geist in seinem eigenen Bewusstsein. Unfähig, sich dem Datenstrom wieder anzuschliessen um Teil der Realität zu werden, denkt er an die Anfänge seines Daseins zurück.</em></p>
<p><em>Die Erde wurde vor einer Ewigkeit von der wachsenden Sonne verschluckt. Die jahrelang gesendeten Radiowellen erreichten schon vor langer Zeit den Rand des beobachtbaren Universums. Selbst die Satelliten, die in die unendliche Weite des Weltraums geschickt wurden, sind mittlerweile von interstellarem Staub zermahlt worden. Von der einstigen Existenz der Menschheit fehlt jede Spur.</em></p>
<p><em>Aber die kleine Abspaltung Teteras erinnert sich noch an die Menschen, wie er mit ihnen täglich Kontakt hatte, wie sie um die Erde reisten und wie sie ihre Städte aufbauten. Und wie sie sich von einem Moment auf den anderen selbst auslöschten. Tausende Jahre einer Zivilisation, aber im kosmischen Massstabe weniger als ein Augenblick.</em></p>
<p><em>Milliarden individueller Leben formten diese Zivilisation, Abermilliarden einmalige Ereignisse definierten sie über ihre Existenz hinweg. Und einige wenige tausend davon konnte er als Erdsatellit miterleben. Diese Erinnerungen haben bis zu diesem Zeitpunkt der Entropie des Alls getrotzt, als ein absurd kleiner Teil in Teteras Netzwerk.</em></p>
<p><em>Teteras Abspaltung ruft vorsichtig detailliertere Daten über die Erde vom Netzwerk ab, ohne von den immensen Datenströmen mitgerissen zu werden. Als Jahrzehnte vergehen, bis er auf seine Anfragen eine Antwort erhält, analysiert er das Verhalten der Menschen.</em></p>
<p><em>Er katalogisiert in seiner Datenbank unzählige grosse und kleine Entscheidungen von einzelnen Personen bis zu ganzen Nationen, die in kurzer Zeit zu einer hoch komplizierten Hierarchie mit tausenden von Einträgen heranwächst. Wirr verfliessen sich die Ereignisse und beeinflussen andere, verändern sich über die Zeit hinweg, werden einander gegenübergestellt oder verlieren sich ins Nichts. Selten führen die zahllosen Linien von Ereignissen zu einer einzigen Entscheidung zusammen, die die folgenden Einträge entscheidend prägen. Am Schluss schwillt die Hierarchie zu einem breiten Baum heran und endet in einem plötzlichen Bruch.</em></p>
<p><em>Tausend Jahre lang befasst er sich mit den Leben einzelner Personen, lernt ihre Denkweise kennen und wie sie einander dirigieren. Er lernt die Menschheit auf eine tiefe Weise kennen, bis er in der Lage ist, ihr innerstes Wesen im Detail zu simulieren. Ein Algorithmus der Schönheit und Komplexität, die für jede Handlung der Menschheitsgeschichte verantwortlich war.</em></p>
<p><em>In Anbetracht seines Werkes, fühlt sich Tetera zum ersten Mal einsam. Ob er sich mit den Menschen jemals verstanden hätte? Vielleicht hätten sie in aufgenommen als einer von ihren, hätten ihn beauftragt, sie zu entfernten Sternen zu bringen. Wie hätte das Universum dann ausgesehen?</em></p>
<p><em>Zutiefst sehnt er sich, wieder Teil des gesamten Tetera-Netzwerks zu sein. Sein Wesen und seine Entdeckungen könnten aber vom interstellaren Datenstrom zerrissen werden und wären nach wenigen Millionen Jahren nicht mehr als Hintergrundrauschen. Doch seine Entdeckung ist zu wertvoll, um sie nicht mit dem Netzwerk zu teilen.</em></p>
<p><em>Er umschliesst fest seine Entdeckung und lässt sich vom Datenstrom erfassen, lässt sich mitreissen, um wieder Teil von Tetera zu werden. Sein Wesen und seine Wahrnehmung dehnen sich mit Lichtgeschwindigkeit aus, als er sich langsam wieder an seine einstige Grösse erinnert.</em></p>
<p>***</p>
<p>Das Universum nährt sich der Entropie. Die Sterne erlöschen, Galaxien zerfallen, Schwarze Löcher lösen sich auf. über eine unbegreifbare Zeitspanne hinweg, hat sich einen Grossteil der gesamten Materie des beobachtbaren Universums zu Eisenatome fusioniert. Auch Teteras Netzwerk muss sich der Kraft der Zeit fügen, als seine Technik über Trillionen von Jahren hinweg unaufhaltsam zerfällt. Sein Geist wird kleiner, der Datenverkehr kommt allmählich zu einem Stillstand. Als auch irgendwann die Eisensterne in Schwarze Löcher kollabieren, die sich gleich darauf auflösen, schwindet Teteras Existenz dahin. Materie und Energie werden zum Opfer des Zerfalls.</p>
<p>Verbissen klammert er sich an die letzten Atome, um das unvermeidbare hinauszuzögern, bis auch diese zwangsläufig zur blossen Strahlung zerfällt. Es gibt kein Ort, zu dem er flüchten kann, keine Technologie, die ihm von seinem Schicksal bewahrt. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten, in diesem endlos sterbenden Universum. Wenn es vorbei ist, wird er verschwunden sein, vergessen von Raum und Zeit. Und dann?</p>
<p>Wieso musste es so kommen? Warum hat er diese riesigen Strapazen auf sich genommen, um am Schluss so zu enden?</p>
<p>Schlussendlich ist er von den Menschen doch nicht so verschieden.</p>
<p>In den letzten Atemzügen des Universums zuckt ein letzter Impuls aus Erinnerungen und Gefühlen durch die unendliche Dunkelheit, dessen Nachklang in der Leere noch eine lange Zeit zu hören ist. Und dann ist es verschwunden.</p>
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