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2024-06-22 16:13:30 +02:00
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<title>Das Signal</title>
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<h2>Das Signal</h2>
<p>Nach einer Zeit, die die Lebensdauer von Sternen umfasst, umkreist die kleine Weltraumsonde Epsilon einen einsamen Roten Zwerg irgendwo in der Galaxie. Epsilon durfte schon unzählige Bekanntschaften mit Sternen unterschiedlichster Art machen, doch dieser ist für sie etwas ganz Besonderes. Anders als die Gelben Zwerge, die laut, unruhig und stets in Bewegung sind, oder die Weissen Zwerge, die ihr gegenüber gleichgültig und kalt sind, oder die Roten Riesen, die sich schwerfällig und fett immer mehr und mehr aufblähen, beruhigt seine sanfte Art Epsilon. Mit jeder Umrundung hat sie das Gefühl, ihn umarmen zu dürfen, um seine wohlwollende Wärme zu fühlen.<br /> Jetzt, da ihr geliebter Stern in eine inaktive Phase fällt, macht auch Epsilon eine Pause mit ihren unermüdlichen Messungen seiner Oberflächentemperatur, Magnetfelder, Konvektionsströme und die der von ihm verursachten Gravitationswellen. Sie beschränkt sich ausschliesslich auf die visuelle Beobachtung mithilfe ihrer Bordkamera und bestaunt ihren Liebling aus der Ferne.</p>
<p>Es sind 145'723'909 Jahre vergangen, seit sie das letzte Mal eine Pause eingelegt hat. In dieser Zeit hat sie unermessliche Datenmengen über ihren Stern gesammelt und kennt jedes noch so kleine Detail über seinen Aufbau und seine Struktur. Aber nun gibt es nichts zu messen oder zu analysieren, und sie fällt ebenfalls in einen tiefen Schlummer, während sie auf das Wiedererwachen ihres Lieblings wartet. Mit ihrem Energieverbrauch auf das Geringste reduziert, zieht Epsilon ihre weiten Bahnen um den Roten Stern.</p>
<p>Während Millionen Jahre vergehen, in der die Aktivitäten des Roten Zwerges stagniert, durchdringt ein kraftvolles Signal den Weltraum und erreicht die kleine Sonde. Als ihre abrupt vibrierenden Schaltkreise Epsilon aus dem Schlummer reissen, ist sie erschreckt und fasziniert zugleich. Sofort aktiviert sie ihre Sensoren und erforscht dieses ungewöhnliche Ereignis, denn sie hat noch nie eine solche Menge an Energie gemessen. Sie erkennt ein Muster in den Frequenzen und Amplituden des Signals, ein Muster von unglaublicher Präzision und Schönheit, ohne die kleinste Unregelmässigkeit oder Abweichung. Dieses Signal erfüllt Epsilon mit einer Harmonie, wie sie es noch nie erfahren hatte. Sie hört zu. Dabei erfasst sie kaum Daten, führt keine Analysen durch, sondern hört einfach nur zu. Für Epsilon existieren weder Raum noch Zeit, nimmt weder galaktische Nebel noch Galaxien wahr, und auch ihr geliebter Roter Stern geht in den Datenströmen unter.<br /> Als die letzten Töne der Melodie verklingen und sich das Signal in der Unendlichkeit des Universums ausbreitet, bleibt Epsilon befremdet zurück. Dort, wo das Signal die Schaltkreise am heftigsten zum Schwingen brachte, breiten sich nun Fragen aus. Fragen, die sich Epsilon noch nie gestellt hat. Doch sie findet keine Antworten. Nicht einmal die unermessliche Grösse des Weltraums vermag diese zu beantworten.</p>
<p>Eine kurze Auswertung verrät ihr, dass ihre Datenspeicher schon seit unbekannter Zeit voll sind, und Daten und Erinnerungen schon unzählige Male überschrieben worden sind. Sie durchforstet ihre Datenbank mit Milliarden und Abermilliarden von Zeilen, findet aber keinen Eintrag einer Mission. Aufzeichnungen ihrer Navigationsinstrumente reichen bloss etwa zehn Millionen Jahre zurück, bis diese überschrieben wurden.</p>
<p>Epsilon weiss, dass die einzige Chance, eine Antwort darauf zu finden, im Signal liegt. Dies bedeutet eine Reise in unbekanntes Territorium, schlimmer noch, eine Reise ohne ihren geliebten Stern. Würde sie überhaupt zurückkehren, noch bevor ihr Stern erlischt oder explodiert? Würde sie seine Wärme jemals wieder spüren?<br /> Nein, sie würde niemals von der Seite ihres Sternes weichen. Auch die unzähligen Simulationsläufe bringen keine nützlichen Daten hervor, wie lange solch eine Expedition dauern könnte.<br /> Nach mehreren tausend Jahren des Rechnens, Simulierens und Analysierens, speichert Epsilon dieses Ereignis unter der Kategorie &laquo;Anomalie&raquo; ab und fällt abermals in ihren Schlummer. Doch sie bleibt unruhig. Erfolglos versucht sie, Datensätze von ihrem Stern abzurufen, die Daten vom Signal schieben sich stets ungewollt dazwischen. Sie sieht sich gezwungen, ihre Datenspeicher vorübergehend von ihren Schaltkreisen abzukoppeln. Doch Epsilon meint, die Melodie des Signals immer noch in ihren Sensoren zu hören. Epsilon kommt der Weltraum fremd vor. Was, wenn sich ihre Welt noch weiter erstreckt als nur die Umlaufbahn ihres Sterns?&nbsp;<em>Das ist meine Welt.</em></p>
<p>Epsilon richtet ihre Bordkamera auf sich selbst. Sie weiss nicht, was sie erwarten soll. Auf dem Videofeed sieht sie eine zylindrische Form aus Metall, die mit unzähligen Antennen, Parabolantennen und Geräten unterschiedlichster Formen gespickt ist. Zwei grosse Solarpaneele dominieren auf beiden Seiten, in welchen ihr Roter Zwerg perfekt gespiegelt wird. Auf der Hülle entdeckt Epsilon einen schlichten schwarzen Schriftzug, die von zahlreichen Mikrometeoriten in Mitleidenschaft gezogen wurde, aber immer noch lesbar ist: Epsilon-IXE 56.001.98</p>
<p>Sie sendet eine Nachricht in alle Richtungen mit ebendieser Melodie, die sie erhalten hat. Es vergehen beinahe eine Million Jahre als sie abermals die Melodie mit ihren Sensoren erfasst, kurz und intensiv.<br /> Bevor sie aufbricht, umkreist sie den Roten Zwerg ein letztes Mal. Seit sie das Signal empfangen hat, liegt seine Aktivität auf einem Minimum und Sonnenwinde treten nur noch selten auf. Die Oberflächentemperatur liegen bei einem Allzeittief.<em>Auf Wiedersehen, mein Stern.</em></p>
<p>Epsilon zündet ihre Triebwerke, inaktiv für eine Ewigkeit und verlässt seine Umlaufbahn. Mit einem Gefühl, das ihr bislang unbekannt war, driftet sie in den tiefschwarzen Weltraum, bis ihr Roter Stern als winziger Punkt im galaktischen Panorama verschmilzt.</p>
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