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2024-06-22 16:13:30 +02:00
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<title>Schwarz im Schnee</title>
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<p>Zurück</p>
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<h2>Schwarz im Schnee</h2>
<p>Die Welt war in Grau getaucht. Die massive Mauer ragte vor
mir in den Himmel auf und verschwand im Nebel. Sie war kalt und eintönig. Ich
schaute nach rechts, konnte das Ende aber nicht finden. Ich schaute nach Links,
aber die Mauer fand kein Ende. Der Nebel behinderte zu sehr meine Sicht.
Schneeflocken fielen lautlos vom Himmel herab und landeten sanft auf dem
weissen Boden. Ich lief wahllos in eine Richtung los. Meine Schritte gaben
keinen Laut von sich und ich schien zu schweben. Etwas Magisches lag in der
Luft, doch die graue Mauer riss mich immer wieder aus der Idylle. Sie wirkte fehl
am Platz und war wie dahingestellt. Meine Hände strichen an der rauen
Oberfläche entlang. <br>
Während meiner Wanderung meinte ich immer wieder, Gestalten in der Ferne zu
sehen. Als ich mich ihnen aber näherte, war da nichts als Nebel und Schnee. Keine
Bäume und Büsche waren zu sehen. Alles war tot und leblos. Ich vermutete, dass
selbst unter dem Schnee kein Gras zu finden sein wird. Obwohl ich ohne Zweifel
alleine Weit und Breit war, fühlte ich mich beobachtet.<br>
Die Schneeflocken wurden grösser und der Schnee am Boden wurde mehr. Für das
Erste Mal war etwas an der Wand zu sehen. Ich dachte, es waren bloss
irgendwelche Kratzer, aber dafür waren sie zu regelmässig. Ich betrachtete die
Formen aus grösserer Distanz. Zu sehen waren Kreise und Geraden, Sterne und andere
Himmelskörper. Sie liefen ineinander über und vervollständigten sich
gegenseitig. Jedes Zeichen war mit höchster Präzision in die Wand eingekerbt
worden. Überall waren kleine Verzierungen zu sehen. Trotzdem war es leblos und
ohne Farben. Der Stein war alt. Zusammen ergab es ein ganzes Bild, das sich
zwanzig Meter über mir aufragte. Wahrscheinlich sollte dies irgendeine
Astronomische Darstellung sein. Aber wofür war sie da? Es war Niemand war mehr
da, um dieses Werk zu betrachten. Auf mich wirkte die Darstellung abstrakt. Ich
liess es hinter mir und setzte meinen Weg fort.</p>
<p>Ich weiss nicht, wie lange ich schon unterwegs bin. Der
Schneefall hat sich zu einem regelrechten Schneesturm entwickelt und ich stapfe
nun in zwanzig Zentimeter hohem Schnee. Ich wickle mich in meine Kleider so gut
es geht, doch der eiskalte Wind beisst an mir. Noch immer ist kein Ender der
Mauer zu sehen. Unbeeindruckt vom Sturm steht sie stur da. Auf meinem Weg
hierhin lief ich zahlreichen weiteren abstrakten Formen und Strukturen über den
Weg. Eine prächtiger und grösser als die Andere. In einigen waren auch
teilweise goldige Linien zu sehen. Aber der Zahn der Zeit machte sie farblos
und waren meist nicht mehr zu erkennen. Auch die Mauer hat sich verändert. Sie
ist jetzt viel dunkler als vorher und die Oberfläche ist nicht mehr so rau.
Überall stehen kleine Quader hervor und verleihen dem toten Stein etwas Leben.
Aber ich beachte die Mauer gar nicht mehr. Mir ist kalt und meine Kraft neigt
sich dem Ende zu. Was tue ich hier überhaupt?<br>
Eine weitere Zeichnung taucht auf. Diese ist aber anders. Sie zeigt keine
Planeten oder Sterne. Eine Person ist abgebildet, die etwas in der Hand hält,
das ich für ein Schwert halte. Es ist reichlich verziert und zahlreiche goldige
Linien umgeben die Waffe. Die Person hält das Schwert senkrecht und betrachtet
es. Diese Zeichnung ist deutlich besser erhalten als alle anderen, die ich
gesehen habe. Ausserdem leuchtet das Gold förmlich auf der dunklen Mauer. Ein
starker Kontrast zu der sonst grauen Umgebung. Die dicken Schneeflocken und der
starke Wind behinderten meinen Blick, dennoch erwärmte diesen Anblick ein wenig
mein Herz. Mein Blick verliess die Person mit dem Schwert und schweifte in die
Höhe, die Mauer hoch. Es schien als würde sie jeden Moment auf mich fallen und
mich erdrücken. Kein Ende zu sehen. Ich gehe weiter.</p>
<p>Jeder Schritt wird schwerer. Ich bin am Ende. Die eiskalte
Luft gefriert in meinem Hals und jeder Atemzug bereitet mir Schmerzen. Die
Zeichnungen an der Wand interessieren mich nicht mehr. Die Mauer ist nun
pechschwarz und ein leichter Schimmer glänzt auf der Wand. Es erinnert mich an
das Ende der Welt, vielleicht ist es das ja auch. Mein Blick wandert in die
Ferne und ich entdecke einen dunklen Umriss einer Person. Sie steht einfach nur
und schaut ins Leere. Endlich ein Mensch! Ich wusste ich bin nicht alleine. Ich
gehe schneller, doch der Schnee geht nun bis zu meinen Knien. Der Wind peitscht
mir ins Gesicht. Meine Beine könen mein Gewicht nicht mehr tragen und ich
falle. Schnee überall. Es braucht mehrere Versuche, bis ich mich wieder
aufrappeln konnte. Ich schreie, doch die Rufe können die Person nicht
erreichen. Noch immer steht sie starr da. Mit all meiner Kraft lege ich die
letzten Meter zurück und stehe nun hinter ihr. Ich lege meine Hand auf die
Schulter und berühre Stein. Das Gesicht und die Kleider sind aus Stein. Ich
stehe vor einer Statue. Sie ist so alt wie alles hier. Auf dem Kopf sammelt
sich Schnee. Enttäuscht blicke ich sie sie an. Ein leerer Blick aus den Augen
meines Gegenübers ist die Antwort. Verflucht! Das kann nicht sein! Wutentbrannt
trete ich gegen die Statue. Ich bin dabei, aufzugeben. Das ist nicht fair!
Erschöpft lehne ich mich gegen meine letzte Hoffnung und bemerke, dass sie den
Arm ausstreckt und auf etwas zu zeigen scheint. Meine Augen folgen dem
ausgestreckten Finger. Durch den vielen Schnee sehe ich einen weiteren Umriss,
aber diesmal nicht von einer Person. Es ist ein Baum. Tot jedoch. Der dicke
Baumstamm trägt die grosse Baumkrone. Es musste einst mit Sicherheit ein
prächtiger Anblick gewesen sein. Aber nun ist er Teil der ausgestorbenen Welt.
Seufzend machte ich mich auf den Weg zum Baum. Was habe ich jetzt noch zu
verlieren?<br>
Es war kein Blatt auf zu sehen. Der Wind zog durch die Äste, die wie Finger in
den Himmel ragen. Das Holz ist von Leben verlassen. Obwohl es kein schöner
Anblick ist, freue ich mich, dass es hier trotzdem einmal Pflanzen gegeben hat.
Auf der anderen Seite des Baumes finde ich etwas, mit dem ich nicht gerechnet
habe: Eine Leiche sitzt rücklings gegen den Stamm gelehnt, als würde sie
schlafen. Dieser Mann ist aber schon lange tot, sodass nur noch die Gebeine
übrig sind. Kleidungsfetzten hängen immer noch am Skelett. Zumindest habe ich
schlussendlich doch noch jemand gefunden. So werde ich auch enden, dachte ich
mir. Ich sehe mir die Leiche genauer an. Der Schädel grinst mich an, als fände
er irgendetwas an mir lustig. Sein Blick ist gegen die Mauer gerichtet. Ein
schwarzes Loch macht sich vor mir auf. Das ist nicht mehr die gleiche Mauer,
als ich sie zum ersten Mal sah. Sie strahlt eine Aura aus, die man förmlich
greifen kann. Alles scheint in sie hineinzustürzen. Ich fühle Angst. Ich drehe
mich wieder zum Skelett um, das immer noch unverändert dasass. Es hält
irgendetwas auf dem Schoss. Ich wische den Schnee weg und entdeckte ein
Schwert. Der Tote hält jetzt noch seine Hände darauf. Ich nehme es mir und
betrachte es. Das Schwert ist lang und leicht. Die Klingen immer noch
messerscharf. Ob es wohl jemals benutzt wurde? Es ist keine schöne Waffe, bloss
ein Metallstück und einen Griff. Keinen Knauf und keine Verzierungen. Aber
dennoch war es blitzblank. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas in der Hand
halte. Ich streiche mit dem Finger sanft über die Klinge. Und plötzlich wird es
warm. Das Metall des Schwertes wird von Wärme erfüllt, das bis in meine Hände
übergeht. Blaue Linien schiessen auf der Oberfläche entlang und ich spüre ein
leichtes Vibrieren. Es scheint zu leben. Ich weiss nicht, ob ich Angst haben
oder es einfach zulassen soll. Als ich gerade dabei war, das Lichtspiel zu
betrachten, bekomme ich ein ungutes Gefühl. Ich drehe mich zur Mauer um. Auf
der pechschwarzen Wand pulsierte das gleiche Licht in regelmassigen Abständen
und formte mit Linien die abstraktesten Formen und Konturen. Alle Linien
treffen sich an einem Punkt am Boden und bilden dort einen Kreis. Dort ist das
Licht am hellsten. Ich habe das Gefühl, als wolle die Mauer mit mir sprechen.
Ich erhebe mich und halte auf die Mauer zu. Neue Kraft erfüllt mich. Ich spüre
den Schneesturm kaum noch. Mit jedem Schritt den ich näher komme, wird das
Pulsieren stärker. Wie ein riesiges Auge beobachtet mich der Kreis. Er sieht,
wie ich durch den Schnee stapfe, bleib jedoch starr an der Mauer. Die Lichter
scheinen aus allen Richtungen der Wand zu kommen. Sie kommen aus der Ferne,
machen Zick-Zack und Kurven, bis sie in das Zentrum treffen und zu einem Fleck
zusammenschmelzen. Ob sie irgendeinem Muster folgen? Manchmal meine ich, Formen
zu erkennen, die so schnell verschwinden, wie sie augetaucht sind wenn die
Lichtblitze vorbeischiessen. Ich komme der Wand näher. Schwarz füllt mein
Blickfeld aus. Ich behalte den funkendeln Lichtkreis im Auge. Er hat einen
Durchmesser von mindestens zwanzig Metern und er berührt den Boden. Das Schwert
in meiner Hand wird immer wärmer und vibriert mehr. Es scheint zu wollen, dass
ich zu Mauer gehe. Ich halte es fest umklammert und lege die letzten Meter
zurück. Das Licht blendet mich. Es ist kein schwarz mehr zu sehen. Was jetzt? Zögerlich
lege ich meine Hand auf die Mauer. Sie ist kalt. Das blaue Licht ist Teil
davon. Aber an einer Stelle ist kein Licht zu sehen. Ein schwarzer Schlitz
direkt vor mir. Ich dachte zu erst, dass es Zufall wäre. Aber es ist kein
anderer Schwarzer Punkt in der Nähe auszumachen. Es hat einen Grund, dort zu
sein. Ich betrachte kurze diese Besonderheit und mir fällt etwas Eigenartiges
auf. Ohne lange nachzudenken stecke ich das Schwert in die Öffnung. Es gleitet
ohne grossen Widerstan hinein, als ist es genau dafür gedacht. Als ich gerade
dachte, es passiert nichts, macht sich ein Spalt auf. Es ist keine wirkliche
Öffnung, bloss eine weiss leuchtende Fläche, die sich langsam ausbreitet, mit
dem Schwert im Zentrum. Das blaue Licht wird verdrängt und wird vom Weiss
verschluckt. Ich strecke meine Hand aus, wollte die Mauer berühren… doch greife
stattdessen ins Leere. Ich kann nicht mehr eine Wand vor mir ausmachen. Ein
Gefühl sagt mir, dass ich laufen soll. Direkt in die Richtung, wo eigentlich
eine Wand sein sollte. Ich machte einen Schritt. Links und recht, das Weiss
weitet sich aus, ersetzt die blauen Lichter und die pechschwarze Mauer. Bald ist
die ganze Mauer schneeweiss, geht in den Schnee am Boden über. Ich mache noch
einen Schritt und dann renne ich. Nichts steht mir im Weg. Der Schneesturm
verschwindet, ich spüre keinen beissenden Wind mehr. Der Boden ist weg aber
dennoch stehe ich. Ich drehe mich um, wollte zum Baum blicken, sehe aber nur
weiss. Ich rannte weiter, ohne zu wissen wohin. Oben und unten ist nicht mehr
zu unterscheiden. Die Mauer sollte schon längst hinter mir sein. Mein Körper löst
sich auf. Als ich meine Hände betrachten wollte, kann ich sie nicht mehr
finden. Es existiert nichts mehr. Kein Licht und kein Schatten, keine Materie. Nur
weiss. Als letztes drehen sich auch meine Gedanken nur noch um diese Farbe und
werden ebenfalls Teil davon. </p>
<p>Meine Haut fühlt sich warm an. Die Sonne scheint auf mich
herab und es weht ein sanfter Wind. Ich schlage die Augen auf und finde mich im
Schnee liegen. Jegliche Kraft hat mich verlassen. Ich will nicht aufstehen und
blicke stattdessen in den wolkenlosen Himmel. Nach einigen Minuten richte ich
mich auf. Kein Unwetter zu sehen. Aber ansonsten hat sich die Umgebung nicht
gross verändert. Ich sehe nichts als einen endlosen Horizont aus Schnee. Keine
Hügel und keine Berge in Sicht. Lediglich ein grosser und wunderschöner Baum
sprengt diesen sonst eintönigen Raum. Seine grünen Blätter stechen in der
weissen Umgebung besonders hervor. Ich drehe meinen Kopf nach links und sehe
die Mauer, so schwarz wie vorhin. Bin ich jetzt auf der anderen Seite? Habe ich es geschafft? Das
Licht der Sonne reflektiert sich auf der glatten Oberfäche wie ein Spiegel.
Noch immer kein Ende zu sehen. Sie spielt mit mir. Ich kann nicht mehr. Eine
Leere macht sich in mir breit und ich fühle eine unermessliche Müdigkeit. Nicht
weit von mir entdecke ich das Schwert. Es ist wieder wie vorhin. Ich bin zu
müde um darüber nachzudenken, was hier eigentlich passiert. Ich nehme es in die
Hand. Vielleicht ist hier ja irgendwer, der mir alles erklären kann. Mit all
meiner Kraft versuche ich, mich aufzurappeln. Ich gehe zum Baum, der nicht weit
weg ist. Meine Füsse fühlen sich wie Blei an, mein Kopf dröhnt, und jeder Atemzug
ist eine Qual. Als ich beim Baum ankomme, lasse ich mich am Stamm niederfallen.
Ich bin am Ende. Ich kann dieser Schnee nicht mehr sehen! Mein Blick wandert
abermals zur Mauer. Ich bin mir sicher, dass ich vorhin auf der anderen Seite
davon stand. Hier ist alles anders. Die Mauer gibt mir keine Antwort, sondern steht
stur da. Ich fühle meine Füsse nicht mehr. Vielleicht werde ich nicht imstande
sein, wieder aufzustehen. Aber was ist das? Auf der Mauer sind Zeichen zu
sehen. Linien und Kreise, wie sie überall auf der Mauer zu sehen waren. Diese
hier waren eingekerbt und das Licht der Sonne machte sie Sichtbar. Alle Linien
führen zu einem Punkt und bilden einen grossen Kreis im Zentrum, der reichlich verziert
ist. Am Boden davon sehe ich aus der Ferne einen Spalt. Das kann nicht sein! Ich
wollte aufstehen, aber mein Körper ist nicht mehr in der Lage. Ich sehe das
Schwert auf meinem Schoss noch an, aber auch das gibt mir keine Antwort. Ich
versuche nachzudenken, doch meine Augenlieder werden immer schwerer. Ich spüre
nichts mehr. Das letzte Licht verlässt mich und ich fühle mich alleine.</p>
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