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Ein wirklich langweiliges Leben

Ich lebe jetzt schon seit achtzehn Jahren auf dieser Welt. In dieser Zeit habe ich schon vieles erlebt, ich war im Kindergarten danach in der Schule und jetzt in der Kanti. In dieser Zeit sind mir viele Arten von Menschen über den Weg gelaufen: faule, fleissige, freundliche und auch richtige Drecksäcke. Diese Menschen haben mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Ich lebe in meiner eigenen kleinen Welt mit Leuten zusammen, die ich gut kenne. Meine Welt ist alles, was ich habe. Ich selber bin die Hauptperson in meiner Geschichte des Lebens. Mal angenommen, es existiert ein Buch darüber, was ich alles schon erlebt habe, dann käme jetzt schon, nach erst achtzehn Lebensjahren, ein schier unendlicher dicker Band heraus. Es spielt keine Rolle, ob es spannend ist oder nicht, es muss einfach alles drin stehen. Sogar Sachen, an die ich mich nicht mal erinnere. Wo ich überall schon war, Personen, die ich getroffen habe und die Dialoge, die ich mit Ihnen hatte, wo ich aufgewachsen bin, Gefühle, Eindrücke, und gelernte Sachen. Unfug, die ich gemacht hatte, Gedanken vom jedem Zeitpunkt meines Lebens. Dieses Buch würde nie aufhören. Und es geht noch weiter. Mein Leben steht erst am Anfang. Das ist meine Geschichte, meine ganz allein. Und diese Geschichte wird einmal vergessen. Ich bin eine einzige Person von mehr als siebeneinhalb Milliarden Menschen auf der Erde! Wenn man diese Zahl sieht, fühlt man diese Masse gar nicht. Warst du schon mal in einem Fussballstadion oder einem Openair, wo hunderttausend Menschen auf einem Fleck waren und du mittendrin? Überall wo man hinsah waren Leute, es war ein verdammtes Meer von Leuten. Man könnte meinen, die ganze Menschheit hatte sich hier versammelt. Und doch ist diese enorme Masse ein winziger Bruchteil von der Bevölkerung der Schweiz. Hundert mal so viel Leben in unserem Land, hundert mal die Menschen in einem Fussballstation. Das kann sich keiner vorstellen. Und die Bevölkerung der Schweiz ist wiederum ein vernachlässigbarer Bruchteil der ganzen Welt. Nochmals hundert mal so viele und noch viel mehr. Wie viele Menschen sind das bitte? 7.5 Milliarden ist nur eine Zahl, doch wenn man sich diese Menge einmal vorstellt erschlägt sie einen fast. Ich bin schon so vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern begegnet und habe mich mit ihnen unterhalten. Aber ich weiss, es gibt noch unendlich viel mehr da draussen in der Welt. Und jeder einzelne besitzt auch so ein Buch des Lebens. Jeder Mensch auf dieser Welt hat auch Dinge erlebt, Erlebnisse gemacht und hatte Probleme in seinem Leben. Wenn ich durch die Stadt laufe und so viel Leute verschiedenster Herkunft sehe, denke ich manchmal: wie sieht sein Buch aus? Auch wenn ich diese Person nur eine Sekunde gesehen habe und sie niemals mehr sehen werde, frage ich mich, was seine Interessen im Leben sind, was er später mal werden möchte oder woher er kommt, wie er hierhergezogen ist und so weiter. Ich möchte sein Buch lesen. Einfach aus Neugier. Weil sein Leben anders ist als meins. Auch wann man das Buch nicht lesen kann, es ist da. Ich habe schon beschrieben, wie umfangreich so ein Buch ist und jedes Buch ist einzigartig, genau so wie mein eigenes.

Und das führt mich zum Gedanken: Bin ich etwas Einzigartiges? Ich bin Herr über mein Leben und die Hauptperson in meinem Buch. Doch was macht mein Buch speziell, wenn es siebeneinhalb Milliarden davon auf der Welt gibt. Ich bin ein gesunder Mensch, lebe in einem Land, in dem man sich um andere Sorgt und wo man sicher ist, wo man den Begriff von „Heimat“ kennt. Ich gehe in die Kantonsschule und hoffe später auf einen guten Studienabschluss. Aber der Gedanke, dass ich ein unendlicher kleiner Teil auf dieser Welt bin, verfolgt mich. Mein Leben ist eigentlich nichts spezielles. Ich glaube, dieser Gedanke hatte jeder einmal. Warum sonst geht man ins Kino, spielt Videospiele oder liest Bücher. Ganz einfach, weil man mal etwas anderes erleben möchte, als sein eigenes Leben. Wenn Leute etwas entdecken oder auf gefährliche Abendteurer gehen ist das viel unterhaltsamer. Das Leben andere Menschen ist viel interessanter als sein eigenes. Denn wer liest durchlebt tausend Leben und wer nicht liest durchlebt nur sein eigenes. Es ist schwer zu akzeptieren, dass mein Buch nur eins unter vielen ist. Ist das wirklich das Leben? Ein normales Leben ist langweilig. Es passiert nie etwas aussergewöhnliches. Wache ich denn nie eines Tages mit Superkräften auf oder treffe ich niemals ein Ausserirdischer? Das Universum ruht auf einigen physikalischen Grundregeln und diese lassen sich nicht ändern. Ich kann es einfach nicht glauben, dass diese Welt so ist wie sie ist. Irgendwann muss doch etwas passieren! Doch auch ich werde einfach ein Leben wie jeder andere führen.

Oder ist das Leben einfach nur langweilig, weil wir nichts anderes kennen? Vielleicht ist das Leben selber eine Superkraft und niemand bemerkt es, weil sie jeder hat. Und das macht sie langweilig. Wenn jeder von Geburt an mit Flügeln auf die Welt käme, würde das vielleicht auch langweilig werden. Doch wenn sie nur einer auf der Welt hätte, wäre das etwas sehr aussergewöhnliches. Doch warum sollte genau mich das betreffen? Warum sollte genau mein Leben so speziell sein? Es macht eigentlich gar keinen Sinn, mein Buch aussergewöhnlich zu machen, weil es ja schon aussergewöhnlich ist. Vielleicht bin ich einfach zu jung und zu naiv zu glauben, dass es ein Wunder braucht, um das Leben spannend zu machen. Es kommt darauf an, was man aus dem Leben macht. Wenn in deinem Leben die Flügel fehlen, dann finde einen Weg, um sie dir selber zu machen! Und schon ist dein Leben aussergewöhnlich. Mach dein Buch so, wie du es willst und erzähl sie dann deinen Kindern. Das Leben selbst ist ein Wunder, denn ohne es könnte ich mir jetzt nicht solche Gedanken machen. Niemand könnte das. Also sollte man sich keine Gedanken machen, wie das Leben wäre, sonder wie das Leben ist. Dennoch befürchte ich, dass ich solche Wünsche nie aus meinen Gedanken drängen kann und dass ich mein Leben lang über Dinge nachdenken werde, die niemals wahr werden. Und das macht mich etwas traurig.